Use Case: „Hochagile Softwareentwicklung“

Keine Zeit zu verlieren: Hochagile Softwareentwicklung hilft besonders in Krisenzeiten dabei, aus einem Feind der medizinischen Forschung, der Zeit, einen Verbündeten zu machen.

Im März 2020 nahm die Entwicklung der COVID-19-Pandemie in Deutschland rasant an Fahrt auf. Am 04.03.2020 veröffentlichte das Robert Koch-Institut in seinem „täglichen Lagebericht zur Corona-Krankheit-2019 (COVID-19)“ 262 „bestätigte Fälle in Deutschland“. Bereits einen Tag später lag diese Zahl laut RKI bei 400 bestätigten Infektionen. Bis zum Monatsende schnellte sie auf 61.913 „bestätigte Fälle (11.02.2020: 3062 Fälle; 17.02.2020: 8198 Fälle; 19.03.2020; 10.999 Fälle) hoch.

Vor diesem Hintergrund wurde und wird in der gesamten medizinischen Forschung unter Hochdruck nach neuen Möglichkeiten der Erhebung wichtiger Forschungsdaten gesucht. Forschungsdaten, die wiederum möglichst schnell, sicher und valide erhoben und der Forschung zur Verfügung gestellt werden müssen. Denn je vollständiger und schneller diese strukturierten Daten vorliegen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, mit diesen Informationen das Verstehen der Erkrankung und somit ihre Bekämpfung beschleunigen zu können.

Alle Vorhaben dieser Art haben dabei eines gemeinsam: Die Zeit für den Aufbau einer umfangreichen, technischen Infrastruktur ist nicht vorhanden.

Ein grundsätzlicher, durchaus pragmatischer Lösungsansatz zur Erhebung von Patientendaten ist dabei, die privaten Smartphones der Patienten, von denen in Deutschland ca. 60 Millionen Geräte im Einsatz sind, als Erfassungs- und Kommunikationsinstrument zwischen Patient und Klinik einzusetzen.

Um diese vorhandene Hardware-Infrastruktur nun tatsächlich, z.B. zur Erfassung von Bewegungs-/Kontaktdaten oder für die Erhebung von Patientenselbsteinschätzungen (Patient Reported Outcome Measures/PROM)  nutzen zu können, müssen maßgeschneiderte Softwarelösungen in Form von Apps entwickelt werden, die wiederum von einer größtmöglichen Nutzergruppe akzeptiert und einfach bedient werden können.

Für die Entwicklung derartiger IT-Lösungen kommen unter diesen Voraussetzungen  industrieseitig eher Entwicklungspartner infrage, die einerseits bereits nach der Idee der „agiler Softwareentwicklung“ arbeiten und im Idealfall auch  bereits bestehende IT-Lösungen im Markt etabliert haben, welche wiederum die Grundlage für die geforderten Neuentwicklungen bilden.

Dass, und vor allen, wie effizient dies möglich ist, zeigt das Beispiel einer Patienten-App mit COVID-19-Funktionalität, die für eine deutsche Universitätsklinik entwickelt wurde.

Die Klinik, die die App zur Erhebung von Patientenselbsteinschätzungen einsetzt, hatte zunächst zwei Anwendungsszenarien entwickelt. Zum einen sind dies COVID-19-Patienten, deren Gesundheitszustand einen stationären Aufenthalt nicht erfordert. Diese Patienten könnten ihre persönlichen Gesundheitsdaten regelmäßig aus der häuslichen Quarantäne heraus an die behandelnde Klinik übermitteln und somit wertvolle Daten für die medizinischen Forschung liefern.

Der zweite Anwendungsfall betrifft die COVID-19-Patienten, die sich in der stationären Behandlung befinden, aber durchaus in der Lage sind, ihre Patientendaten selbständig zu erfassen, um diese mithilfe der App an die Klinik zu übermitteln.

Neben der größeren Menge an erfassten Daten, die im Klinikalltag vielleicht nicht erfasst werden müssten, hat dies insbesondere auch den Vorteil, dass durch diese Unterstützung der Patienten das klinische Personal deutlich um organisatorische/verwaltungstechnische Arbeiten zugunsten der eigentlichen Patientenversorgung entlastet wird.

KAIROS liefert mit CentraXX seit über 10 Jahren state-of-the-art-IT-Lösungen für die medizinische Spitzenforschung und arbeitet seit jeher nach den Grundsätzen des „Manifestes für Agile Softwareentwicklung“. Um die Produkt-Range CentraXX in diesem Sinne so effizient und schnell wie möglich voranzutreiben, bilden hier beispielsweise „Daily“ und „Weekly Scrums“, „Sprint Plannings“ und „Sprint Reviews“ die Grundlage der Entwicklungsarbeit.

Als IT-Instrumentarium konnte die Universitätsklinik mit CentraXX somit auf eine bundesweit einsatzerprobte Software-Produktfamilie zugreifen und hieraus die passenden Module auswählen. Die Klinik entschied sich hierbei für das CentraXX Clinical Trial Managementsystem (CTMS) und die CentraXX Patienten-App als Rückgrat für die neu zu entwickelnde technische Lösungsplattform.

Aufgrund des enormen Zeitdrucks verständigten sich beide Seiten auf eine maximal enge Kooperation und Abstimmung unter der Führung der Universitätsklinik, um die einsatzfähige Patienten-App mit COVID-19-Funktion mit extrem verkürzten Entwicklungs- und Überprüfungsintervallen zu entwickeln.

Die Uniklinik lieferte am 18.03.2020 das Briefing und die Fragen zur  Entwicklung/Implementierung der detaillierten Erhebungsbögen (eCRFs) im CentraXX CTMS. Bereits zwei Tage später verfügte sie über eine erste Version der App, in der die entsprechenden eCRFs mittels FHIR-Schnittstelle abgebildet waren.

Am Samstag, den 21. und Sonntag, den 22.03. nahm das gesamte Entwicklerteam der KAIROS, unterstützt von Mitarbeitenden der Klinik, gemeinsam mit 40.000 anderen Teilnehmenden aktiv am Hackathon der Bundesregierung teil. Unter dem Motto #WirvsVirus hat sich das Team in das Arbeitsfeld „01_031_Digitale_Krankheits_Anamnese“ mit dem Beitrag „Corona-IOS-App-Feldtest“ eingebracht. Noch während des Hackathons entstand auch die Android Version der App. Darüber hinaus konnten ihre Funktionalitäten und Inhalte so erweitert werden, dass der Einsatz der App im Rahmen eines ersten Feldtests möglich wurde. Dieser erste „Feldtest einer iOS- und Android-App zur Dokumentation des Gesundheitszustandes von Personen, die an dem Coronavirus erkrankt sind, um den Krankheitsverlauf besser zu verstehen“ wurde noch am Sonntag, den 22.03. gestartet.

 

 

Auch in der Folgewoche wurde die im Rahmen des Hackathons erprobte, sehr enge Taktung für die Weiterentwicklungs-, Präsentations- und Feedbackrunden zwischen der Kinik und dem gesamten Entwicklungsteam beibehalten. Die Rückmeldungen aus dem ersten Feldtest flossen direkt in die Entwicklungsarbeit ein, so dass bereits am 29.03. eine verbesserte Version der CentraXX Patienten-App mit COVID-19-Funktion in die 2. Testphase geschickt werden konnte, auf die ein dritter, finaler Feldtest folgte.

Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass es sich bei der CentraXX Patienten-App mit COVID-19-Funktionalität nicht um eine solitäre Lösung handelt, sondern um einen zentralen Baustein der Forschungs- und Versorgungsinfrastruktur. Denn mithilfe der App fließen strukturierte Patientendaten in das CentraXX-Clinical Trial Management Modul (CTMS) der Forschungs- und Integrationsplattform CentraXX der behandelnden Klinik. Durch den Einsatz unterschiedlichster Schnittstellen zu weiteren Kliniksystemen können die Daten der App mit allen in der Klink bekannten, klinischen Daten in Bezug gesetzt, in der Forschungsakte aggregiert und im CTMS zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus bietet CentraXX dem Klinik- und Studienpersonal weitere, wichtige Funktionalitäten, wie z.B. die direkte Integration des Studienregisters, inklusive einer Rekrutierungsunterstützung.

Die App erfasst demografische Daten und epidemiologische Faktoren des Patienten, ebenso wie seine Informationen zu Vorerkrankungen und Risikofaktoren. Ihre zentralen Funktionalitäten sind das Symptomtagebuch und die Hygiene-Checklisten.

Die hier vom Patienten gesammelten Informationen werden in Echtzeit an das Studienportal der Klinik übermittelt und sofort dem Studienpersonal im CTMS-Modul sowie den Ärzten und Forschern in der virtuellen Patientenakte, gemeinsam und im Zusammenhang mit allen klinisch relevanten Daten, präsentiert. Mit der Nutzung der App erhält der Patient, über das detaillierte Symptomtagebuch hinaus, einen Überblick über seine persönliche Patientenakte und somit über alle innerhalb einer Studie und der regulären Diagnostik und Versorgung erhobenen Daten. Dies umschließt klinische Daten, Analyseergebnisse und erteilte oder abgelehnte Einwilligungen mit deren Gültigkeitszeitraum und Gültigkeitsumfang.

Am  11.04.2020 (24 Tage nach dem Projektstart) hat die Uniklinik sowohl die iOS- als auch die Android-Version der App erfolgreich im Apple App Store, bzw. im Google Play Store zum Download platziert.

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